Ergotherapeutin Anette Philipp über Chancen der roboterunterstützten Handtherapie
Vor einigen Wochen durften wir in der Praxis für Ergotherapie und Handrehabilitation von Anke Odenthal in Neuss hospitieren und dabei der Therapeutin Anette Philipp über die Schulter schauen. Als wir von unserer AnyHand erzählten, wollte sie mehr über roboterunterstütze Handtherapie erfahren. Deshalb haben wir sie in unser Büro in Mainz eingeladen, um von den neusten Entwicklungen zu erzählen und auch über ihre Visionen für die Handtherapie der Zukunft zu sprechen. Wir haben uns sehr über ihren Besuch gefreut!
Als erstes sprechen wir darüber, was ihr bei ihrem Beruf
Freude bereitet, warum sie sich für die Ergotherapie entschieden hat. Bei jedem
Patienten steht für sie ein gemeinsames Ziel im Mittelpunkt: der Mensch soll durch
die Therapie wieder in den Alltag entlassen werden können. Um diese Aufgabe zu
erfüllen, muss nicht nur getapet, massiert und trainiert werden, sondern es
bedarf auch einer ständigen seelischen Unterstützung. Damit diese wirksam ist, müssen
Patient und Therapeut eine Einheit werden und sich gegenseitig pushen,
besonders an Punkten der Stagnation. Die Motivation des Patienten ist die
Grundvoraussetzung für den Heilungsprozess und eine völlige Genesung ist nur
mit der richtigen Einstellung möglich. Ein Team mit dem Patienten zu sein, nah
am Menschen zu arbeiten und an den Fortschritten live teilzunehmen – das ist die
größte Motivation für sie.
In der Praxis in Neuss arbeitet das Team daran, in Zukunft völlig paperless zu werden. Patientenakten, Trainingspläne und Röntgenaufnahmen sollen digital auf dem Tablet verfügbar werden. Generell bleibt Anette Philipp nicht gerne beim „status quo“ – ihr Anspruch an sich selbst besteht darin, sich ständig weiterzubilden und damit auf dem neusten Stand zu sein. Die Kongresse des DAHTH (Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Handtherapie), des DVE (Deutscher Verband der Ergotherapeuten) und die interdisziplinäre Interaktion mit Fachärzten wie zum Beispiel auf den DGH -Symposien (Deutsche Gesellschaft für Handchirurgie) verschaffen ihr einen Überblick über das breite Feld der Therapiemöglichkeiten. In spezifischen Fortbildungen kann Anette Philipp ihr Fachwissen dann gezielt vertiefen.
Kann man einen Wandel im Berufsbild der Ergotherapeuten
spüren? „Es gibt Regionen in Deutschland, die so schlecht mit Therapeuten
versorgt sind, dass die Patienten sehr weite Strecken auf sich nehmen müssen.“ Der
Mangel an Fachkräften in der Physio- und Ergotherapie ist allgegenwärtig. Zum
einen findet Anette Philipp, dass Auszubildende und Studenten der Fachbereiche
stärker auf die Handtherapie aufmerksam gemacht werden sollten, damit
ausreichend junge Fachkräfte zur Verfügung stehen. Zum anderen sieht sie eine
große Chance in der Medizintechnik. Sie erzählt von einem Mädchen, das durch
eine Glasscheibe gefallen ist. Der Unfall zerstörte Beugesehnen, Venen, Haut
und Muskulatur. Obwohl die Chirurgen ihr Bestes gaben, konnten viele Strukturen
bei der Operation nicht wiederhergestellt werden. Anette Philipp und ihre
Kollegen sollen den Fall übernehmen, obwohl die Familie über 70 Kilometer
entfernt wohnt. Sie telefoniert oft mit der Mutter, sie schreiben Nachrichten
und die Therapeutin erstellt Videos mit Übungssequenzen, um der Patientin die
ein oder andere Fahrt zu ersparen. Die Mutter schickt Bilder vom Zustand der
Narben. Ohne die ständige Verfügbarkeit von WhatsApp, Skype und Co. wäre die
Therapie um Einiges aufwändiger gewesen.
Die AnyHand, die aktuell von LIME entwickelt wird, wäre in
diesem Fall ein optimales Hilfsmittel gewesen: gerade nach der ersten, akuten
Behandlungsphase können mit unserer Bewegungsschiene vom Therapeuten
festgelegte Übungen zu Hause trainiert werden. Die AnyHand übermittelt dabei
ständig Daten zu Bewegungsumfang, Maximalkraft und Wiederholungszahlen an eine
App, die der Therapeut einsehen kann. Die zwischenmenschliche Verbindung darf
dabei natürlich nicht verloren gehen: wann immer es sinnvoll erscheint, wird
basierend auf den Trainingsdaten ein persönlicher Termin vereinbart. Anette Philipp
sieht hier insbesondere für häufige Verletzungsmuster wie Frakturen,
Beugesehnenverletzungen oder Arthrose eine große Chance. Dazu müssen Smartphone
und Tablet noch salonfähiger gemacht werden. „Man darf nicht denken, dass man
von dem Menschen abgelenkt wird, wenn man ein Tablet benutzt. Viel mehr ist es
ein Zusammenspiel von Mensch und Therapiegerät.“
Anette Philipp ist seit 12 Jahren staatlich examinierte
Ergotherapeutin und hat in den Niederlanden den Bachelor of Health in
Occupational Therapy abgeschlossen. Sie leitet die Ergotherapie-Praxis von Anke
Odenthal in Neuss und hat sich auf Handtherapie spezialisiert. Außerdem
engagiert sie sich als Mitglied des DAHTH und DVE in Sachen Zukunft und Chancen
der Handtherapie sowie mit dem ganzen Team für die fachliche Ausbildung der
zukünftigen Therapeuten.