Die menschliche Hand ist äußerst komplex aufgebaut und bietet zahlreiche Bewegungsrichtungen, um uns als universelles Werkzeug für unseren Alltag zu dienen. Das Ballen der Faust, das vorsichtige Aufnehmen eines kleinen Gegenstands mit zwei Fingern, das kräftige Umschließen des Fahrradgriffs – für all diese Bewegungen sind unsere Beugesehnen verantwortlich.
Bei Stürzen, Quetschungen oder tiefen Schnittverletzungen kann es zu einer Verletzung der Beugesehnen kommen, die die Handfunktion sofort stark einschränkt. Dieser Artikel beschäftigt sich mit anatomischen Bedeutung der Beugesehnen, damit was passiert, wenn eine Sehne gerissen ist und wie eine Beugesehnenverletzung operativ und anschließend therapeutisch behandelt werden kann.
Hand Anatomie der Beugesehnen
Die Beugesehnen der Hand verlaufen an der Unterseite des Unterarms entlang durch den Karpaltunnel und strahlen dann bis zu den Fingerspitzen aus. Sie übertragen die Kraft aus dem Beugemuskel im Unterarm auf unsere Finger und den Daumen. Die Sehnen bestehen aus sehr zugstabilem Bindegewebe und haben eine lange Heilungsdauer.
Der Daumen verfügt über eine Beugesehne, die übrigen Finger über zwei – jeweils eine oberflächliche und eine tiefe. Die tiefe Beugesehne beugt das letzte Fingerglied, während die oberflächliche das Mittelgelenk zwischen dem ersten und zweiten Fingerglied bewegt. Dabei verläuft die tiefe Beugesehne durch die oberflächliche hindurch – diese teilt sich auf Höhe des ersten Fingerglieds und setzt dann wieder am letzten Fingerglied an.
Die Beugesehnen der Finger: die oberflächliche (türkis) und tiefe Beugesehne (blau) verlaufen gemeinsam.
Die Sehnen sind mit einer Sehnenscheide umgeben, die sie vor Reibung mit dem umliegenden Gewebe schützt. Das kann man sich wie den Seilzug in der Fahrradbremse vorstellen: das Bremsseil wird durch einen Schlauch gezogen, der es vor Schmutz, Reibung und Erosion schützt. Damit das Seil bzw. unsere Sehne widerstandslos durch die Sehnenscheide gleiten kann, sondert diese die Synovialflüssigkeit ab.
Die Sehne mit ihrer Sehnenscheide ist durch Ringbänder an den Fingerknochen befestigt. So wird die Führung der Sehne am Finger entlang auch unter Spannung gewährleistet. Fehlen die Bänder, würde sich die Sehne beim Beugen vom Finger entfernen – das sähe aus wie Sehne eines gespannten Bogens.
Ohne die Ringbänder (blau) würde die Beugesehne sich vom Knochen entfernen - der Bogensehneneffekt
Beugesehne gerissen – was zu tun ist bei einer Beugesehnenverletzung am Finger
Ein Beugesehnenriss entsteht zum Beispiel bei einem Sturz, bei dem die Hand sehr stark in Richtung Handrücken überstreckt wird. Häufiger ergeben sich Beugesehnenverletzungen allerdings bei tiefen Schnittwunden , verursacht durch Messer, Sägen, einen Tierbiss oder durch den Sturz in eine Scherbe. Auch Quetschverletzungen können mit einer Beugesehnenruptur einhergehen.
Eine tiefe Schnittverletzung am Finger oder der Verdacht einer Beugesehnenverletzung sind Notfälle und müssen schnellstmöglich medizinisch untersucht werden!
Egal welche Ursache die Verletzung hat – bei einer tiefen, klaffenden Schnittverletzung oder dem Verdacht, dass die Beugung eines oder mehrerer Finger eingeschränkt sein könnte, muss dringend ärztlicher Rat gesucht werden. Die Verletzung einer Sehne ist ein medizinischer Notfall ! Je schneller die verbliebenen Sehnenstümpfe wieder zusammengefügt werden können, desto besser sind die Heilungschancen.
Bei einer tiefen Schnittverletzung steht der Verdacht einer Beugesehnenverletzung im Raum.
Symptome: Woran sehe ich, dass meine Beugesehne verletzt ist?
Ist eine Beugesehne verletzt , fällt die Beugung des betroffenen Fingers aus und er verbleibt in gestreckter Stellung. Die Muskelkraft kann nicht mehr auf den Knochen in eine Bewegung übertragen werden. Bei einer unverletzten Hand bilden die Finger einen gleichmäßigen Bogen, wenn die Finger in entspannter Position gehalten werden. Fällt eine der Fingerspitzen aus der Reihe, kann eine Sehnenruptur vorliegen.
Die Finger besitzen im Gegensatz zum Daumen je zwei Beugesehnen. Ist die tiefe Beugesehne verletzt, lässt sich das Fingerendglied nicht mehr aktiv beugen und verbleibt in der Streckstellung. Ein Ausfall der oberflächlichen Sehne wird allerdings häufig übersehen, da die tiefe die oberflächliche Sehne teilweise kompensieren kann.
Verbleibt ein Finger in Streckposition, kann eine Beugesehnenverletzung der Grund sein. Doch auch wenn die Beugung noch möglich ist, kann eine versteckte Verletzung der oberflächlichen Beugesehne vorliegen.
Sind beide Sehnen gerissen, lassen sich sowohl das End- als auch das Mittelgelenk nicht mehr beugen. Das Fingergrundgelenk lässt sich aber auch bei Durchtrennung beider Sehnen noch beugen, da diese Bewegung von den Muskeln der Mittelhand ausgeführt wird.
Wie wird eine Verletzung der Beugesehne diagnostiziert?
Besteht der Verdacht einer Beugesehnenverletzung, sollte man sich in jedem Fall in ärztliche Betreuung begeben. Für eine genaue Diagnose werden die einzelnen Gelenke auf ihre Beug- und Streckfähigkeit hin geprüft. Bei einer Schnittverletzung ist die durchtrennte Sehne unter Umständen direkt in der Wunde sichtbar. Ein Röntgen-Bild kann etwaige Knochenverletzungen abklären, die mit dem Unfall einhergegangen sein können.
Eine unvollständige Durchtrennung ist besonders schwierig zu identifizieren, weil die Beugefunktion noch erhalten sein kann. Will man sicher gehen, ist eine Vergrößerung der Wunde unter örtlicher Betäubung notwendig, um den Zustand der Sehne optisch begutachten zu können.
Beugesehnen OP am Daumen oder Finger
Idealerweise erfolgt die OP innerhalb der ersten 12 Stunden nach der Verletzung . Die verbliebenen Sehnenstümpfe werden dabei mit einer Sehnennaht wieder zusammengefügt. Vergehen zwischen Ruptur und Operation einige Tage oder sogar Wochen, ist eine Sehnennaht meist nicht mehr möglich. Um die Beugefunktion wiederzuerlangen, muss die deutlich komplexere Sehnentransplantation in Erwägung gezogen werden.
Bei einer Beugesehnen OP am Finger oder Daumen zählt jede Stunde: je früher die Sehnennaht erfolgt, desto besser.
Liegt eine besonders große Verletzung mit starker Beteiligung der umliegenden Nerven und Blutgefäße vor, ist eine Sehnennaht manchmal nicht möglich. Der Chirurg oder die Chirurgin kann sich dafür entscheiden, erst nach dem Abheilen der Wunde die OP vorzunehmen. Da das Zeitfenster für eine Sehnennaht dann schon überschritten ist, wird eine Sehnentransplantation durchgeführt: in einer ersten OP wird ein Silikonstab in den Finger eingebracht, um den der Körper einen Gleitkanal bildet. Dieser stellt den Ersatz für die Sehnenscheide dar. Bei einer zweiten Operation wird der Stab wieder entfernt, eine geeignete Sehne von einer anderen Körperstelle entnommen und in den Finger verpflanzt.
Beugesehne Krankengymnasik – Nachbehandlung nach der OP
Nach einer OP an der gerissenen Beugesehne im Finger wird die Hand meist für sechs Wochen in einer Kleinert-Schiene gelagert: Die Hand wird in Beugestellung fixiert, sodass die verletzte Sehne möglichst geringem Zug ausgesetzt wird. Außerdem wird am Fingernagel des betreffenden Fingers ein Gummiband befestigt, der das Beugen des Fingers übernimmt. So kann die Sehne ausheilen, während das aktive Strecken möglich bleibt.
Nach sechs Wochen kann die Schiene entfernt werden, die verletzten Finger dürfen aber noch nicht voll belastet werden. Zwölf Wochen nach der Verletzung ist die operierte Beugesehne normalerweise wieder einsatzfähig.
In der Kleinert-Schiene sind Finger Übungen möglich: aktives Strecken beugt Verklebungen vor.
Moderates, aber regelmäßiges Bewegen ist in der Heilungsphase von enormer Bedeutung. Die Nachbehandlung in einer handtherapeutischen Praxis sollte so schnell wie möglich nach der Operation begonnen werden - idealerweise innerhalb weniger Tage. Bei unzureichender Bewegung sondert die Sehnenscheide weniger Synovialflüssigkeit ab und das Hindurchgleiten der Sehne wird behindert. Die entstehende Verklebung muss unbedingt verhindert werden, da sie mit langfristigen Bewegungseinschränkungen einhergeht.
Nur wenn die Sehne regelmäßig durch die Sehnenscheide hindurchgleitet, wird ausreichend Synovialflüssigkeit abgesondert.
Da bei dem Unfall außerdem selten ausschließlich die Sehne verletzt wurde, sondern sich das gesamte umliegende Gewebe im Heilungsprozess befindet, kann es zu Verwachsungen zwischen den verschiedenen Gewebsarten kommen. Auch diese würden nach dem Ausheilen den vollständigen Bewegungsumfang einschränken und lassen sich durch gezielte Übungen vorbeugen. Dabei sollten Handverletzte den Therapieplan möglichst genau verfolgen, um sowohl unzureichendes auch übermäßiges Training zu vermeiden.
Um Verklebungen und Verwachsungen vorzubeugen, ist regelmäßige, kontrollierte Bewegung von großer Bedeutung. Patient*innen sollten sich dabei an den Trainingsplan ihrer Therapeut*innen halten.
Kommt es zum Fall einer Verklebung oder Verwachsung, steht eine erneute Operation, die Tenolyse , im Raum. Dabei wird die verwachsene Sehne mit einem Skalpell vom umliegenden Gewebe befreit. Da es nach diesem zweiten Eingriff zu einer erneuten Heilungsphase mit Bildung von weiterem Narbenmaterial kommt, ist die Tenolyse nicht immer erfolgreich.
Tägliches Training unter therapeutischer Anleitung in der Schiene und später mit den freien Fingern ist daher von großer Bedeutung, um Bewegungsradius von vor der Verletzung wieder herstellen zu können. Hier ist die motivierte Mitarbeit der Patient*innen gefragt: die Therapiestunden in der Physio- oder Ergotherapie-Praxis sind nicht ausreichend, sondern eigenständiges Training mehrmals täglich ist auch zu Hause notwendig.
Beugesehnenverletzung: wie gut sind die Chancen auf vollständige Heilung?
Die Prognose für Beugesehnenverletzungen in der Hand sind sehr positiv, allerdings von einigen, sehr wichtigen Faktoren abhängig:
Diese 6 Faktoren beeinflussen die Prognose für Verletzungen der Beugesehne:
Die Motivation der handverletzten Person, um den Trainings- und Therapieplan genau zu verfolgen Zeitpunkt der Operation : je früher, desto besser, idealerweise 12 StundenEinsetzen der Handtherapie nach der Operation: je früher desto besser, idealerweise wenige TageAlter und Gesundheitszustand des Patienten oder der PatientinArt der Verletzung : eine Quetschverletzung mit starker Gewebsbeteiligung heilt schwieriger als eine saubere Schnittverletzung familiäres Umfeld: Unterstützung im Alltag und bei der Umsetzung des Therapie-Programms wirken sich positiv aus
Wir sehen: Bei der Heilung von Beugesehnenverletzungen kommt es vor allem auf Schnelligkeit bei der Versorgung sowie auf eine motivierte Mitarbeit der Patient*innen an. Treten keine Komplikationen auf, kann der volle Bewegungsumfang des Fingers zurückerlangt werden - und ein kräftiges Zugreifen ist wieder möglich.
Häufig gestellte Fragen
Wie kommt es zu einer Beugesehnenverletzung im Finger?
Bei einem tiefen Schnitt durch Messer, Sägen oder den Sturz in eine Scherbe kann eine Beugesehne durchtrennt werden. Auch ein Tierbiss oder eine Quetschverletzung können die Verletzung verursachen. Stürzt man und überstreckt die Hand stark in Richtung Handrücken, kann es ebenfalls zu einer Sehnenruptur kommen.
Wie erkennt man eine Beugesehnenverletzung?
Ist eine Beugesehne im Finger durchtrennt, kann dieser nicht mehr aktiv gebeugt werden und verbleibt in Streckstellung. Allerdings können unvollständige Risse oder die Ruptur der oberflächlichen Beugesehne unerkannt bleiben, weil die Beugebewegung nicht völlig ausfällt.
Was ist zu tun, wenn eine Beugesehne gerissen ist?
Eine Beugesehnenverletzung ist ein Notfall, da das Vernähen der verbliebenen Sehnenstümpfe so schnell wie möglich erfolgen muss. Bei einer großen Schnittverletzung oder dem Verdacht, dass eine Ruptur vorliegen könnte, sollte man daher dringend medizinischen Rat einholen.
Worauf kommt es in der Heilung an?
In der Heilungsphase nach einer Sehnennaht oder Sehnentransplantation ist regelmäßige Therapie und Training nach Plan einer der wichtigsten Faktoren, um den ursprünglichen Bewegungsumfang wieder herzustellen. Hier ist die Motivation der Patient*innen gefragt, da die Therapiestunden alleine meist nicht ausreichen.
Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema, eignet sich aber nicht zur Selbstdiagnose oder zur Auswahl einer passenden Therapie. Der individuelle Fall kann nur durch ärztliche Kompetenz zuverlässig diagnostiziert werden.
Quellen
Waldner-Nilsson (Hrsg.) (2013): Handrehabilitation. Band 1 Grundlagen, Erkrankungen. Heidelberg / Berlin: Springer-Verlag.
Schmidt, H-M. / Lanz, U. (1992): Chirurgische Anatomie der Hand. Stuttgart: Thieme.